Die in der alten Kiesgrube Punt in Ober-Illnau aufgeführten Freilichtspiele „Chruutmahl“ (1995), „Üermoos“ (1999) und „Summer 1942“ (2004) haben weit über die Kantonsgrenze hinaus Tausende von schaulustigen Menschen angezogen, Begeisterung ausgelöst und sich Anerkennung verdient. Ausser Autor, Regisseur und Komponist haben alle 150 am Spiel Beteiligten, die meisten aus Illnau-Effretikon, ohne materielle Entschädigung mitgewirkt.
Lange bevor das erste Freilichttheater „Chruutmahl“ 1995 vor hinreissender Kulisse in der alten Kiesgrube, umgeben von schmucken Häusern und der original mittelalterlichen Kirche, in Ober-Illnau aufgeführt werden konnte, tüftelten die Initianten Max Binder, Werner Zbinden, Adolf Kuhn sowie Arthur Wälte an ihrem Theaterprojekt. Auf Max Binders Hof russte Kaminfegermeister Werner Zbinden wieder einmal den Kamin, als der Landwirt seinem Theaterkollegen beim anschliessenden Kaffee „mit öppis drin“ gestand, dass er heimlich von einem Freilichttheater träume. Man trug die Idee auch Elsi Kuhn-Nüssli aus Bisikon vor, welche selber schon kleine Theaterstücke geschrieben hatte. Alle halfen sie mit, „die Verlobungshochzeit zur Hochzeit zu machen“, so Zbinden lachend. Elsi brachte bald einmal, unter Mithilfe der reformierten Kirchenpflege Illnau-Effretikon, einen von Prof. W. Holenweger geschriebenen Vorschlag mit dem Titel „Friedensmahl“ in die Runde. Zum Anlass der Jubiläumsfeier 1250 Jahre Illnau-Effretikon-Mesikon sollte das neue Stück aufgeführt werden. Der Vorschlag wurde an einer Zusammenkunft interessierter Vereine auch dem damaligen Stadtpräsidenten Rodolfo Keller vorgelegt und mit ihm diskutiert. Das Stück wurde als zu wenig volksnah befunden, insbesondere konnte es nicht als Freilichtspiel inszeniert werden. Die Suche ging weiter. Als neuer Autor wurde Walter M. Krumm, Effretikon, angefragt. Er schrieb das Stück „Chruutmahl“ unter Einbezug der Chronik 2 von Illnau-Effretikon als Quelle für den geschichtlichen Hintergrund, eine sogenannte Geschichte in dargestellter Form. Das Stück handelt von Illnauer Familien, welche in drei verschiedenen Zeitabschnitten lebten: um 1580, dann zur Zeit der Französischen Revolution um 1800 und um 1880.
Als idealer Aufführungsort wurde die Kiesgrube im Ober-Illnauer Dorfteil Punt auserkoren, wo von den 20er- bis in die 40er- Jahre Kies abgebauen wurde und die seither vom Kanton als Grube für Strassenabfall benutzt worden war. Die diplomatischen Geschicke von Max Binder zeigten Erfolg. Nachdem er mit den kantonalen Behörden verhandelt hatte, wurden die „Bsetzisteine“, die zwei Bienenhäuser und das viele Holz entsorgt. Turi Wälte erinnert sich, wie die Bienen eingefangen werden mussten, um sie einem Imker in Fehraltdorf zuzuführen. „Wir gehen sehr rücksichtsvoll mit der Grube um“, machte Binder aufmerksam. Man stehe hier auf einer uralten Seitenmörane des Glärnisch-Gletschers mit Sicht nach Süden auf den Glärnisch zum einen, und Sicht nach Norden auf die Kirche Illnau zum andern. Das sei etwas ganz Besonderes und mache den Schauplatz einmalig.
Im Januar 1994 wurde ein Komitee gegründet, welches von der Stadt im Namen der 1250-Jahr-Jubiläumsfeier einen Kredit von 80’000 Franken für die Realisierung eines Freilichtspiels zugesprochen erhielt. Nach dessen Abschluss konnten 30’000 Franken wieder retourniert werden. Es war kein Problem, die rund 150 Mitwirkenden als Schauspieler, Orchesterspieler, Zuständige für Requisiten, Reklame etc. zu finden. „Die Laien arbeiteten alle äusserst diszipliniert, was zum Grosserfolg beitrug“, so Zbinden. Neben Autor und Regisseur Krumm wurde ein zweiter Profi, Komponist und Dirigent Jan Hrabek, engagiert. Krumm und Hrabek schafften es, den Illnauern sowohl die Geschichte wie auch Musik auf den Leib zu schreiben. Walter Krumm vermochte die Schauspieler zu motivieren und sie zu fesseln. „Er machte einen super Job“, ist sich Binder noch heute bewusst. Eine gute Vermarktung und Präsenz in Zeitung, Radio und Fernsehen verhalfen zum Publikumserfolg. Auf der 500-er Tribüne wurden innerhalb von 13 Aufführungen rund 6’000 Zuschauer empfangen. „Es hät klöpft und tätscht vor Lüüt“, erinnert sich Werner Zbinden. Das Publikum war begeistert vom volksnahen authentischen Theater vor der idyllischen Kulisse.
Mit demselben Autor brachte dasselbe Organisationskomitee noch eine Geschichte im gleichen Stil aus der Chronik hervor. „Aufhänger“ war dieses Mal alleine die Freude, wieder etwas miteinander zu machen „solange das Feuer noch brennt und noch nicht erloschen ist“, so Binders Motto. Er liess den Funken ein weiteres Mal springen. Der allseits beliebte Krumm, jetzt mit Künstlername Michael Boutari, wurde angefragt, ein zweites Stück zu schreiben. Leider erlag der Autor und Regisseur im September 1998 seiner schweren Krankheit mitten in den Vorarbeiten zum Freilichtspiel mit dem Namen „Üermoos“. Zbinden erinnert sich noch heute an den Satz, welcher der schwer kranke Autor im Spital zu ihm sprach: „Das Leben ist wie ein Theater. Es ist nicht wichtig, wie lange es dauert, sondern wie bunt es ist.“ Boutaris letzter Wunsch war es, dass man sein Stück so aufführe, wie er es geschrieben hatte. Sein Freund Beat Uhlmann überarbeitete das Buch und brachte es als Regisseur zur Aufführungsreife. Die Geschichte, benannt nach einem verschwundenem Flurnamen, dem heutigen Örmis, handelt von frischen Forellen, Landhändeln, hohem Besuch, einem Flugzeugabsturz, von Liebe, Turnfest, Musik und vielen Dorforiginalen. Es sind Geschichten von Menschen, welche auf ihrem Lebensweg manch einen Brocken aus dem Weg räumen mussten und hie und da dem Glück etwas nachhalfen. Das Stück spielt in der Zeit des Ersten Weltkrieges. Mit den zwölf Vorstellungen im August und September 1999 kamen noch mehr Leute als beim „Chruutmahl“. Unter ihnen viele betagte Menschen, welche die Vorkriegsjahre noch selber erlebt hatten. Der damals 90 Jahre alte Jakob Widmer, welchem die Gärtnerei gehörte, die an die Kiesgrube grenzte, reif damals begeistert aus: „Ändlich isch z’Illnau wieder emal öppis los!“
Die Kulissen mit den schmucken Häusern, Gartenwirtschaften, dem Dorfbrunnen und den vielen kleinen liebevollen Details wurden in unzähligen Fronarbeitensstunden auf- und wieder abgebaut. Beim kleinsten „Chnobli“, aber auch beim alten Greis wurden Emotionen freigelegt. Vom Lehrling bis zum Pfarrer, vom „Chämifäger“ bis hin zum Bauern spielten ganz verschiedene Leute mit. Leider fehlte Nationalrat Max Binder die Zeit zum spielen. Dafür kümmerte er sich als Leiter des Organisationskomitees um das dem Freilichtspiel gut gesinnten Gewerbe und damit um das Sponsoring, was einen Teil des Erfolges ausmachte. Auch die Stadt hatte sich immer sehr grosszügig gezeigt, betont Binder. Mittels zahlreichen zur Verfügung gestellten Arbeitsstunden von städtischen Angestellten und den finanziellen Beiträgen habe sie zum Erfolg beigetragen. Nach dem Rückbau des „Üermoos“ kaufte die Stadt Illnau-Effretikon die ehemalige Kiesgrube. Ein weiterer Dank gelte den toleranten Anwohnerinnern und Anwohnern, die nie reklamiert hätten und der Feuerwehr, die das Verkehrsaufkommen geregelt habe.
Aus dem „Üermoos“ blieben 70’000 Franken übrig, welche verwaltet werden sollten. So gründeten Max Binder und Werner Zbinden zusammen mit 60 weiteren Mitgliedern im Jahr 2000 den Verein „Freilichtspiele Illnau“, welchem Binder als Gründungspräsident vorstand. Danach wurde der Verein von Werner Zbinden übernommen. Überschattet von einigen Todesfällen aus dem Kreis der Schauspieler sowie demjenigen des Regisseurs nahm der Verein sein drittes Freilichtspiel, den „Summer 1942“ in Angriff. Mit Autor Paul Steinmann und Regisseur Rupert Dubsky bewiesen die Theaterleute ein weiteres Mal ihr glückliches Händchen bei der Auswahl der Profis. Die beiden schrieben das Stück „Polenliebchen“ zu einem Freilichtspiel um und entwickelten das Drehbuch für „Summer 1942“. Das Spiel handelt während des Zweiten Weltkriegs in einem Schweizer Dorf. Die Männer sind im Aktivdienst und die Frauen organisieren sich auch ohne diese ganz gut, bis die Kunde kommt, dass im nahen „Chämleten“ Polen einquartiert würden. Die internierten Polen, von Heimweh geplagt, und die einsamen Frauen schüren Eifersucht bei den Männern. Es entsteht unter anderem ein Liebesdrama, welches tragisch endet.
Die „Sonne“, das Gasthaus im Freilichtspiel 2004, wurde von Turi Wälte übrigens eigens aus Winterthur „hergezügelt“, wo es der Eulachstadt im Freilichtspiel „Fridebüüte“ zuvor als Kulisse gedient hatte. Eingespielt hat die Polengeschichte mit knapp 600 Plätzen auf der Tribüne in 15 Vorstellungen im August und September 2004 insgesamt 8’000 Zuschauer, welche mit Cars aus der ganzen Schweiz angereist waren! Guten Kontakt pflegte Binder auch zur polnischen Botschaft in Bern, welche seine Einladung mit Freude zur Kenntnis genommen hatte. Als Dank dafür wurde der Vize-Botschafter Polens an die Premiere abgeordnet. Der Ehrengast war begeistert von der Darbietung. „Die Ex-Nationalrätin Kalbermatten sei sogar aus dem Wallis angereist, um sich das Spiel anzusehen“, erinnert sich Binder, der auch bei seinen Nationalratskolleginnen und –kollegen in Bern aktiv für das Illnauer Freilichttheater geworben hatte! Auf die Frage, ob es ein viertes Freilichtspiel geben werde, sehen sich die drei Theaterfreaks lachend an, beherzt stossen sie mit ihrem Glas Weisswein ein zweites Mal an und sagen: „Ja, in näherer Zukunft schon“, man wolle aber kein Datum nennen. Ideen schwirrten bereits in den Köpfen herum… Man darf gespannt sein auf einen weiteren Grosserfolg des Vereins „Freilichtspiele Illnau“!